BesD Nothilfe Fonds

Spendenbericht Sommer 2022

Im Frühjahr 2022 sind es zwei Jahre, daß der BesD den Nothilfe Fonds für Sexarbeiter*innen ins Leben gerufen hat. Sollte dieser Anfangs nur die unmittelbaren, mit den Schließungen der Prostitutionsstätten und Arbeitsverbote verbundenen Lohnausfälle ausgleichen, ist er mittlerweile aus der Arbeit des BesD gar nicht mehr wegzudenken.

Die seit anfangs 2020 bis in den Sommer 2021 geltenden Bestimmungen zum Prostitutionsgewerbe und der Erbringung von sexuellen Dienstleistungen sowie der pandemiebedingte starke Rückgang der Nachfrage betrafen Sexarbeiter*innen deutschlandweit, aber entsprechend der jeweiligen Wohn- und Arbeitssituation, des Aufenthaltsstatus und der sozialen und finanziellen Absicherung – um nur einige Aspekte zu nennen – durchaus unterschiedlich. Selbständig tätige Sexarbeiter*innen konnten Überbrückungshilfen und nicht mehr in einem Beschäftigungsverhältnis stehende Sexarbeiter: innen Arbeitslosengeld beantragen, während marginalisierte Sexarbeiter*innen, die keine rechtswirksamen Arbeitsverträge abgeschlossen hatten und nicht bei den zuständigen Behörden gemeldet waren, unter prekären Bedingungen weiter arbeiteten. insbesondere an diese Sexarbeiter*innen richtet sich der BesD Nothilfe Fonds.

Dank einer großzügigen Spende wurden im Juli und August 2021 insgesamt 52 Anträge auf Nothilfe bewilligt. Unter Berücksichtigung der individuellen Situation der Antragsteller*innen wurde die Nothilfe an trans* Personen und cis Frauen, aber auch an cis Männer ausgezahlt. Der Nothilfe Fonds wurde dementsprechend zu mehr als zwei Drittel von Sexarbeiter*innen in Anspruch genommen, die außerhalb des cis weiblichen, heterosexuellen Bereichs der Sexarbeit tätig sind, und stellt ich damit gegen heteronormative Grundannahmen und Zuschreibungen, die sich auf die Sichtbarkeit, beziehungsweise Unsichtbarkeit von trans*geschlechtlichen, homo- und bisexuellen Sexarbeiter*innen innerhalb von staatlichen und zivilgesellschaftlichen Unterstützungsnetzwerken auswirken.

Antragssteller*innen Juli-August 2021
Alle Statistiken basieren auf Eigenangaben der Antragssteller*innen, teilweise Schätzungen von Beratungsstellen/BesD

Die Schließung von Prostitutionseinrichtung, Bars und Clubs begünstigte bei vielen Antragsteller*innen eine alternativlose Bindung an die Stral3enprostitution, obwohl zusätzlich Treffen über einschlägige Seiten und Portale im Internet verabredet wurden. Der Blick für die unterschiedlichen Bedingungen der Sexarbeit, z. B. daß in Abhängigkeit von dem Ort nicht nur Preise, sondern auch Gewaltrisiken variieren, war und ist daher eine grundlegende Voraussetzung für die Konzeption und Aufrechterhaltung des Nothilfe Fonds.

Obwohl die erhobenen Daten keine Aussagen über die Motive der Antragsteller*innen erlauben und die Faktoren für den Eintritt in die Sexarbeit individuell ganz unterschiedlich gewichtet werden, sind die Sexarbeiter*innen, die sich an den Nothilfe Fonds wendeten, oft mit enormen Hindernissen konfrontiert – etwa unsicheren Aufenthaltsstatus, Wohnungs- und Obdachlosigkeit sowie fehlenden Zugängen zu einer angemessenen Gesundheitsversorgung. Derartige Prekarisierungstendenzen im Kontext der zunehmend professionalisierten Sexarbeit zu berücksichtigen, bedeutet auch, nicht nur das Fehlen von arbeits- und sozialrechtlichen Standards, sondern auch die andauernde ökonomische und materielle Unterversorgung ernst zu nehmen und schnelle und unbürokratische Hilfe zu leisten.

So wirft die Arbeit des Nothilfe Fonds auch ein Schlaglicht auf internationale Entwicklungen und die nach wie vor hohe Präsenz von Sexarbeiter*innen unter anderem aus Osteuropa (Rumänien, Bulgarien, Ungarn), Südeuropa (Albanien, Mazedonien, Serbien) und Nordafrika (Ägypten, Marokko), die mit einem niedrigen oder nicht anerkannten Bildungsabschluß und ungewissen beruflichen Aussichten dennoch ihre finanzielle Unabhängigkeit bewahren wollen. Gleichzeitig erscheint die Sexarbeit in wohlhabenden Industrienationen wie Deutschland für transgeschlechtlichen Personen aus dem EU-Ausland sowie aus Drittstaaten durch den diskriminierungsbedingten, stark eingeschränkten Zugang zum Arbeitsmarkt sowohl im Heimat als auch im Zielland als eine der wenigen Möglichkeiten zur Sicherung des Lebensunterhalts.

Der Ausschluß von sozialen Sicherungsleistungen und die Diskriminierungen gegenüber den Antragsteller*innen – aufgrund ihrer sexuellen Orientierung und ihrer geschlechtlichen Identität, aufgrund von rassifizierten Zuschreibungen und der Stigmatisierung ihrer Lebensumstände – wurde dahingehend berücksichtigt, daß die Vergabe der Nothilfe von Sexarbeiter*innen mitgestaltet wird, die zum Teil selbst Erfahrungen mit Flucht und Migration gemacht haben und aktiv gegen die verschiedenen Diskriminierungsformen gegenüber migrantischen Sexarbeiter*innen vorgehen. Ober den Kontaktbogen, der dem Antrag des Nothilfe Fonds beigelegt ist, stehen Mitarbeiter*innen für persönliche Gespräche sowie Vermittlung von sozialer und juristischer Beratung zur Verfügung.

Den Angaben zufolge sollten die von den Antragsteller*innen erhaltenen finanziellen Mittel in erster Linie die Selbstversorgung mit Lebensmitteln, Hygieneprodukten und Medikamenten sichern, sowie dazu dienen, durch die Miete von Wohnungen und Zimmern der drohenden Obdachlosigkeit zu entgehen. Mehrere Antragsteller*innen haben mit dem Geld des Nothilfe Fonds Fahrscheine bezahlt oder Telefonrechnungen beglichen, um den Kontakt mit Freunden oder Familienangehörigen, die sich nicht in Deutschland aufhalten, wieder zu ermöglichen. Zusätzlich waren viele Sexarbeiter*innen in den letzten zwei Jahren dazu gezwungen Schulden auf sich zu nehmen, und folglich wurden Schulden und Schwierigkeiten, diese zurückzuzahlen, immer häufiger als Antragsgrund genannt.

Pro Antrag bekommt eine Person ca. 200 bis maximal 1 200€. Dabei wird sich um Niedrigschwelligkeit und ein möglichst begrenztes Maß an Bürokratie bemüht. Um das zu gewährleisten und gezielter auch Sexarbeiter*innen ohne Deutschkenntnisse anzusprechen, wurde das Antragsformular mit der finanziellen Unterstützung einer großen, wohltätigen Organisation erstmals in 15 Sprachen übersetzt. Es ist dem BesD Nothilfe Fonds ein Anliegen, einen Gegenpol zu stigmatisierenden institutionellen Praktiken zu bilden und auf Augenhöhe mit Antragsteller*innen zu kommunizieren. Dabei wird mit Beratungsstellen deutschlandweit zusammengearbeitet, die sie über die einmalige Zahlung hinaus beraten und unterstützen.

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